Vorstandswechsel bei den SWG: Vater der Gießener Energiewende geht in den Ruhestand

Langjähriger Technischer Vorstand der Stadtwerke Gießen Reinhard Paul geht in den Ruhestand.

35 Jahre lang prägte Reinhard Paul das Gesicht der Stadtwerke Gießen maßgeblich mit – seit 2002 als Technischer Vorstand. Am Freitag, den 29. Mai übergab er den Staffelstab an seinen Nachfolger Matthias Funk. Zur feierlichen Verabschiedung waren zahlreiche Wegbegleiter der vergangenen Jahrzehnte aufs Gelände des Badezentrums Ringallee gekommen.

Nur die Wenigsten wissen wohl, dass die Energiewende in Gießen und der Region auf dem Gelände des Badezentrums Ringallee ihren Anfang nahm. Ein junger Ingenieur hatte zu Beginn der 80er-Jahre die Idee, dort das erste Blockheizkraftwerk (BHKW) der Stadtwerke Gießen (SWG) zu bauen; 1982 ging es in Betrieb, arbeitet noch heute und wurde zum Vorläufer unzähliger weiterer Anlagen in den folgenden Jahrzehnten.
Um wen es sich bei dem Visionär und Pionier von damals handelt? Um Reinhard Paul, der 1980 als Assistent des Technischen Werkleiters seine Karriere bei den SWG begann und fortan die Geschicke des Unternehmens entscheidend mitlenkte – von 2002 bis vor wenigen Tagen als Technischer Vorstand. Am Freitag, den 29. Mai verabschiedete sich der 65-Jährige bei einer Feier auf dem Gelände des Badezentrums Ringallee in den wohlverdienten Ruhestand und übergab den Staffelstab an seinen Nachfolger Matthias Funk.

Visionär, Macher und Pionier Reinhard Paul

Jens Schmidt, seit November 2014 Kaufmännischer Vorstand der SWG, war rund ein halbes Jahr gemeinsam mit Reinhard Paul an der Spitze des Unternehmens. Bei der Feier am vergangenen Freitag bedankte er sich für die gute Zusammenarbeit während dieser Zeit – insbesondere  aber für alles zuvor Geleistete: „Gemeinsam mit meinem eigenen Vorgänger Manfred Siekmann haben Sie, lieber Reinhard Paul, über Jahre hinweg hervorragende Arbeit geleistet. Dank Ihnen stehen die Stadtwerke Gießen heute als modernes Unternehmen mit einer fortschrittlichen, vorausschauenden Strategie da. In einem solch ausgezeichnet organisierten Haus mit stabilem Fundament und starken Mauern übernimmt man gern die Verantwortung für die Zukunft. Heute wollen wir aus gutem Grund aber einen Blick zurückwerfen. Für mich ganz besonders spannend, da ich sicherlich noch das eine oder andere mehr von und über Reinhard Paul kennenlernen werde.“

Was den Ingenieur und den Menschen Reinhard Paul auszeichnet, erfuhren die rund 130 Gäste unter anderem von der Aufsichtsratsvorsitzenden der SWG, Stadträtin Astrid Eibelshäuser: „Ein wissbegieriger, engagierter, intelligenter junger Mann voller Tatendrang kam 1980 zu den Stadtwerken Gießen. All diese Eigenschaften nutzte er von Beginn an – zunächst beim Aufbau der Erlebnis- und Wohlfühlwelt im Badezentrum Ringallee und dann beim Bau des ersten Blockheizkraftwerks der SWG.“

Mit der Idee zu einem BHKW war Reinhard Paul seiner Zeit voraus. Denn die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) überzeugte nicht alle Experten und selbst im eigenen Unternehmen musste der Nachwuchsingenieur gegen viele Widerstände ankämpfen. „Von Zweiflern haben Sie sich auf Ihrem Weg nie beirren lassen und stets an den Fortschritt geglaubt“, unterstrich Astrid Eibelshäuser. Sie beschrieb Reinhard Paul als den Visionär, der bereits Anfang der 80er-Jahre mit überragendem Weitblick die Energiewende in Gießen und der Region eingeleitet habe. Zum Wesen von Reinhard Paul gehöre laut Astrid Eibelshäuser außerdem der Pioniergeist: „Neue Wege gehen, querdenken, alles infrage stellen, Rückschläge in Kauf nehmen, mit Widerständen umgehen, konsequent sein – all das vereinen Sie.“ Darüber hinaus bezeichnete die Aufsichtsratsvorsitzende den langjährigen Technischen Vorstand als Macher, der sich für nichts zu schade sei und immer die Ärmel hochgekrempelt habe. „Sie sind einer, der mit anpackt.“

Als Visionär, Pionier und Macher hat Reinhard Paul im Laufe seiner Karriere bei den Stadtwerken Gießen das Wärmenetz in der Stadt aufgebaut, Nahwärmenetze sowie KWK-Anlagen in benachbarten Kommunen auf den Weg gebracht und sich für den Einsatz alternativer Brennstoffe – ob in der TREA oder der ersten Biogasanlage in Großen Buseck – stark gemacht. Kein Wunder also, dass das Fernwärmenetz in Gießen mittlerweile zu den zehn größten in Deutschland zählt – und zu denjenigen mit dem niedrigsten Primärenergiefaktor.

Menschen begeistern und mitnehmen
Reinhard Paul selbst verwies darauf, dass er allein nur ein Rad im Getriebe der Stadtwerke Gießen gewesen sei: „Ohne begeisterungsfähige Kolleginnen und Kollegen beziehungsweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären all die Meilensteine in den vergangenen rund 35 Jahren nicht möglich gewesen.“ Auch dieses Miteinander sei nach Ansicht von Astrid Eibelshäuser wiederum charakteristisch für Reinhard Paul: „Sie haben die Menschen nicht vergessen, haben sie von Ideen überzeugt, konnten sie mitnehmen und haben stets die richtige Balance von ‚fördern und fordern’ gefunden.“ Nicht zuletzt hätten Reinhard Paul und sein Vorstandskollege Manfred Siekmann die Unternehmensstrategie der Stadtwerke Gießen immer wieder an die Erfordernisse der Energiewirtschaft angepasst und mit „SWG 2015“ sowie „SWG 2020“ neue Maßstäbe gesetzt.

Dem stimmte auch Wilken Gräf, Vorsitzender des Betriebsrats der SWG, bei seiner Rede zu: „Sie haben von Beginn an bis heute die Herausforderungen des ökonomischen und ökologischen Veränderungsprozesses unserer Arbeitswelt berücksichtigt und zielorientiert daran gearbeitet, dass die Stadtwerke Gießen dort stehen, wo sie es heute tun. Unsere Zusammenarbeit verlief dabei meist sehr konstruktiv und überwiegend harmonisch – keine Selbstverständlichkeit zwischen Betriebsrat und Vorstand eines Unternehmens. Ich bin überzeugt: Es war eine gute Zeit für die SWG mit Ihnen und auch eine gute Zeit für Sie mit den SWG.“

Dem fügte Reinhard Paul in seiner Rede hinzu: „In der Erinnerung erscheinen einem frühere Erlebnisse und Erfahrungen oft wesentlich besser, als sie es in der Realität waren. Aber ohne etwas beschönigen zu müssen, kann ich behaupten: Die vergangenen 35 Jahre haben mir tatsächlich unheimlich viel Freude bereitet. Es macht Spaß, wenn man zusammen mit anderen Menschen erfolgreich daran arbeitet, gemeinsame Ziele zu verwirklichen.“

Handeln im Dienste der Stadtwerke
Seit seinem Einstieg bei den SWG gehörte Reinhard Paul nicht nur zu den Vordenkern in Sachen KWK und Wärmeversorgung, sondern er setzte sich zudem für den stetigen Ausbau und die Modernisierung der Gießener Bäderlandschaft ein. „Angefangen bei der Riesenrutsche über die Saunalandschaft bis hin zum Wasserspielplatz oder dem Aquafitnessbecken – mit Ihren Ideen und Projekten haben Sie eine Menge für das Freizeitangebot der Gießener Bevölkerung geleistet. Die Gießener Bäder sind dadurch schon etwas Besonderes, eben etwas Anderes“, brachte es Uwe Volbrecht von der SWG-Bäderverwaltung auf den Punkt.
Passend dazu bedankte sich Astrid Eibelshäuser im Namen der Stadt Gießen sowie aller Bürgerinnen und Bürger für das Engagement des langjährigen Vorstands und betonte: „Wir werden Sie und Ihre direkte, offene Art vermissen, lieber, verehrter Reinhard Paul!“
Er selbst bedankte sich wiederum für diese „vielen tollen Worte“ und gestand: „Das Schönste für mich ist, auf ein gutes, erfülltes Wirken bei den SWG zurückzublicken. Es wurde nie langweilig und wir haben stets Dinge vorangebracht – auch wenn dabei so manche Hürde überwunden werden musste. Genau dieses Fazit will wohl jeder ziehen können, wenn er sich in den Ruhestand verabschiedet.“

Matthias Funk, Nachfolger als Technischer Vorstand, glaubt eher an einen „Unruhestand“: „Wer Reinhard Paul kennt, der weiß, dass das berufliche Thema Energieeffizienz auch zu seinen Hobbys zählt. Vor Reisen recherchiert er vorab schon mal, wo sich in der Nähe des Urlaubsortes ein Kraftwerk befindet, das sich besichtigen lässt.“ Eben diese Leidenschaft habe ihn selbst damals wie ein Virus angesteckt, als er Ende 1988 in der Abteilung Wärmeversorgung beim „Chef Herrn Paul“ angefangen habe. „Du hast mich damals vorgestellt mit dem Satz: ‚Das ist der Herr Funk, der macht jetzt die Wärme.’ Kurz, knapp, klar, deutlich – eben ergebnisorientiert.“ Matthias Funk hob hervor, dass Reinhard Paul immer neue Wege gegangen sei – aber niemals, ohne dann auch zu prüfen, wie sich das Neue im Laufe der Zeit entwickelt. „Leidenschaft für die effiziente Energiewandlung, die Ideen und die menschlich mitreißende Art haben stets das Tempo vorgegeben. Und schnell genug – das ging es ihm eigentlich nie. Gleichzeitig warst du immer ein Chef, bei dem es keine Denkverbote gab“, beschrieb der neue Technische Vorstand seinen Vorgänger. Die Liste der persönlichen Eigenschaften sei unendlich lang, hervorheben wollte Matthias Funk jedoch: „Reinhard Paul ist immer für die gute Sache eingetreten, er hat immer dafür gekämpft und dabei manchen Rückschlag hingenommen, um wenig später mit Plan B wieder weiterzumachen. Du bist für mich der Macher der Stadtwerke Gießen, der Vater der regionalen Energiewende in Mittelhessen.“ Anschließend bedankte sich Matthias Funk im Namen der SWG sowie der „Mannschaft“ von Reinhard Paul.

Eben jenes Team und die geladenen Gäste hatten dann noch eine große Überraschung für den langjährigen Vorstand vorbereitet. Nachdem Matthias Funk seine abschließenden Worte gesprochen hatte, fuhr eine SWG-Mitarbeiterin als Auszubildende verkleidet in einem Kleintransporter auf das Gelände. Einige Gäste – unter anderem Reinhard Paul – schauten fragend, als der Zündschlüssel an den neuen Technischen Vorstand übergeben wurde. „Ich glaube, der ist nicht für mich gedacht“, meinte Matthias Funk. „Du, lieber Reinhard kennst das Gefährt ganz gut. Immerhin hast du damit einige Kilometer deine Runden gedreht, um immer vor Ort zu sein und sogar am Wochenende die Anlagen zu kontrollieren. Wir dachten uns: Wenn der Chef in Rente geht, dann schicken wir den Wagen auch in den Ruhestand und haben ihn für dich gekauft. Unser kleines Geschenk und ein ideales Fahrzeug für deinen ‚Unruhestand’.“
Zum Abschluss der offiziellen Feier ehrten die Gäste Reinhard Paul mit einem Lied – einer speziell für ihn getexteten Version des bekannten Klassikers „Mit 66 Jahren“. In diesem Alter fängt das Leben ja bekanntlich erst an.

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