Stadtwerke Gießen steigen in die iKWK ein

Direkt an der Lahn, in unmittelbarer Nachbarschaft zur SWG-Gaskugel errichten die SWG ein Gebäude, in dem künftig drei Wärmepumpen arbeiten. Die Fotomontage vermittelt ein Gefühl für die Optik und die Größe des Herzstücks der iKWK-Anlage „PowerLahn“.

Bis zum Juni 2026 errichten die Stadtwerke Gießen eine staatlich geförderte iKWK-Anlage. Ihr Herzstück bilden drei Großwärmepumpen, die Wärme aus der Lahn gewinnen.

 

Die Wärmeproduktion deutschlandweit zu dekarbonisieren, gilt in Fachkreisen als zentraler Baustein für die nationale Energiewende. Dieses Ziel verfolgen die Stadtwerke Gießen (SWG) schon viel länger als die Politik. Seit Jahrzehnten arbeiten die SWG daran, die mit ihrer Wärmeerzeugung verbundenen CO2-Emissionen sukzessive zu reduzieren. Ein aktuelles Großprojekt fügt sich nahtlos in diese Strategie ein: die iKWK-Anlage PowerLahn. iKWK steht für innovative Kraft-Wärme-Kopplung und der Name PowerLahn ist Programm. Denn das Herzstück bilden drei Großwärmepumpen, die das Wasser der Lahn als Wärmequelle nutzen.

Hinter dem von der Politik eingeführten Begriff iKWK verbirgt sich die förderfähige Kombination dreier im Grunde bekannter und bewährter Technologien. Ein solches Gesamtsystem muss aus einer hocheffizienten KWK-Anlage, einem Power-to-Heat-Element (P2H) und einem innovativen Wärmeerzeuger bestehen. Als i-Komponente kommen Solarthermie, Geothermie oder Wärmepumpen infrage. „Wir haben uns dazu entschieden zwei Blockheizkraftwerke (BHKW), einen elektrischen Wärmekessel und drei Wasser-Wasser-Wärmepumpen zu kombinieren“, erklärt Matthias Funk, Technischer Vorstand der SWG, das Konzept.

 

Ganz genau rechnen

Angesichts der nötigen Investitionen lassen sich die meisten iKWK-Anlagen nur mit staatlichen Fördermitteln wirtschaftlich betreiben. An die heranzukommen, erweist sich aber üblicherweise als echte Herausforderung. Denn allein das Vorhandensein der geforderten Bestandteile reicht nicht aus. Es gilt, weitere strenge Kriterien zu erfüllen. So muss das P2H-Modul mindestens 30 Prozent der thermischen Leistung der BHKW bereitstellen. Zudem sind die Wärmepumpen so auszulegen und zu betreiben, dass sie mindestens 35 Prozent der Wärmemenge pro Jahr liefert, die in den BHKW entsteht. „Hier mussten unsere Ingenieure schon sehr genau rechnen. Sowohl was die Spezifikationen an sich als auch was den späteren Betrieb angeht“, erinnert sich Matthias Funk. Konkret kamen sie auf folgendes Ergebnis: Die SWG installieren zwei BHKW mit je 4,5 Megawatt elektrischer und 4,7 Megawatt thermischer Leistung. Das P2H-Modul steuert 2,7 Megawatt Wärmeleistung bei. Und die drei Wärmepumpen liefern je 1,774 Megawatt, sollen aber nur von April bis September laufen – also dann, wenn sie wegen höherer Wassertemperaturen besonders effizient arbeiten.

 

Schon diese Ausführungen machen die mit einem iKWK-Projekt einhergehende Komplexität deutlich. „Die zahlreichen Variablen speziell zu Beginn der Arbeit schrecken offenbar noch viele Unternehmen ab, sich näher mit der Materie zu befassen“, vermutet Matthias Funk. Diese These lässt sich an zwei Details bei der Vergabe der Zuschüsse festmachen. Bei der Ausschreibung der Fördermittel handelt es sich im Grunde um eine Rückwärtsauktion. Bieter bewerben sich mit einer Förderung, die sie brauchen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Die günstigsten Gebote erhalten den Zuschlag, bis der Topf leer ist. „Hier haben wir mit der annähernd maximalen Förderung von 12 Cent pro Kilowattstunden Strom den Zuschlag bekommen“, freut sich Jens Schmidt, Kaufmännischer Vorstand der SWG. Darüber hinaus konnten die SWG 40 Prozent des in dieser Ausschreibungsperiode bundesweit ausgeschütteten Etats gewinnen. Tatsächlich gab es nicht genug Bewerber, um alle bereitstehenden Gelder zu verteilen.

Ausreichend finanzielle Mittel und technisches Know-how sind zwar notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für den Erfolg eines Projekts wie PowerLahn. „Ohne exzellentes Projektmanagement lässt sich solch ein Projekt nicht bewältigen“, ist Jens Schmidt überzeugt. Es gilt, einen ambitionierten Zeitplan einzuhalten – unter allen Umständen. „Weil wir Fördergeld in Anspruch nehmen, müssen wir die Anlagen zu einem fixen Termin in Betrieb nehmen“, ergänzt Jens Schmidt. Denn jede Verzögerung kostet richtig Geld.

Ein Faktor für die Einhaltung des straffen Zeitplans ist besonders kritisch. Wie bei anderen Bauprojekten müssen die SWG für alle Komponenten von PowerLahn entsprechende Genehmigungen einholen. Die Crux daran: Mit iKWK betreten nicht nur die SWG Neuland, sondern auch die zuständigen Behörden. Die Tatsache, dass mit der Lahn auch eine Bundeswasserstraße ins Spiel kommt, verkompliziert die Angelegenheit zudem. „Wir haben von Anfang an auf maximale Transparenz gesetzt, stehen mit allen Beteiligten in sehr engem Kontakt und tauschen Informationen schnellstmöglich aus“, beschreibt Jens Schmidt das Vorgehen.

 

Aktiver Klimaschutz

Dass die SWG diesen enormen Aufwand betreiben, hat einen einfachen Grund. „Wir verfolgen schon seit vielen Jahren das Ziel, den Einsatz fossiler Brennstoffe bei der Produktion unserer Fernwärme kontinuierlich zu reduzieren. Wenn es nicht PowerLahn geworden wäre, hätten wir uns etwas anderes, ähnlich Klimaschonendes ausgedacht“, erklärt Matthias Funk. Denn tatsächlich steht bei den SWG in den nächsten Jahren die Modernisierung von Teilen des Anlagenparks an – konkret gilt es, zwei Gasturbinen und zwei Dampfkessel zu ersetzen. „So gesehen kam die Förderung für iKWK-Anlagen für uns genau zur rechten Zeit“, erinnert sich Jens Schmidt.

PowerLahn zahlt überdies auf ein Vorhaben der Stadt Gießen, dem Eigner der SWG, ein. Die Kommune hat sich noch ambitioniertere Klimaziele als der Bund gesteckt und strebt an, schon 2035 klimaneutral sein. „Da stehen wir als klassisches Stadtwerk natürlich in der Verantwortung. Mit PowerLahn leisten wir einen wichtigen Beitrag“, bringt es Jens Schmidt auf den Punkt. Die dank des Projekts zu realisierende Reduktion der Kohlendioxidemissionen unterstreicht diese Einschätzung. Die drei Wärmepumpen steuern künftig rund zehn Prozent der Gießener Fernwärme bei – völlig emissionsfrei. Verglichen mit konventionellen Gaskesseln sparen die sie rund 7.767 Tonnen CO2 pro Jahr. 

 

Zwei Standorte

Ein wichtiges für viele wahrscheinlich schwer zu erfüllendes Kriterium für die Förderung war für die SWG von Anfang an kein Thema: Alle Komponenten müssen in das gleiche Wärmenetz einspeisen. Weil die SWG bereits große Teile Gießens mit entsprechenden Leitungen erschlossen haben, konnten die Ingenieure mit zwei Standorten planen. „Das spart Geld und jede Menge Genehmigungsaufwand“, erklärt Matthias Funk. Tatsächlich müssen die SWG nur ein Gebäude für die Wärmepumpen neu errichten. Es entsteht unweit des SWG-Hauptsitzes auf der anderen Seite der Lahn. Gut zwei Kilometer Luftlinie südwestlich davon – im bestehenden Heizkraftwerk Leihgesterner Weg – lassen die SWG die beiden hocheffizienten BHWK und das P2H-Modul installieren. „Hier bieten bereits vorhandene Gebäude ausreichend Platz. Das vereinfacht vieles, spart Geld und macht das Projekt obendrein noch ein bisschen nachhaltiger“, freut sich Matthias Funk. Denn jeder nicht benötigte Kubikmeter Beton und jede eingesparte Tonne Armierungsstahl sparen CO2.

 

Die Umwelt profitiert doppelt

Die dank PowerLahn zu erwartende Senkung der CO2-Emissionen ist nicht der einzige positive Effekt für die Umwelt. Wie schon erwähnt, sollen die drei Wärmepumpen aus Effizienzgründen vor allem in den wärmeren Monaten arbeiten. Genau das verbessert die Lebensbedingungen für viele in der Lahn heimische Tierarten. Denn wegen des Klimawandels erwärmt sich das Wasser gerade im Sommer immer öfter und stärker. Was dem Wohlbefinden von Fischen, Schnecken und anderen Bewohnern nicht gerade zuträglich ist. Denn je höher seine Temperatur, desto weniger Sauerstoff kann Wasser binden. Dieser schädlichen Entwicklung wirken die Wärmepumpen entgegen. Schließlich entziehen sie dem Fluss Wärmeenergie und senken so die Wassertemperatur wieder ab. Das erleichtert den Tieren im Fluss das Leben.

Die SWG belassen es aber nicht dabei, eine hocheffiziente, klimaschonende iKWK-Anlage zu bauen und zu betreiben. „Unser Anspruch ist außerdem, die Menschen für unser Vorhaben zu begeistern, sie mitzunehmen“, bringt es Jens Schmidt auf den Punkt. Aus genau diesem Grund stellen die SWG auch kein rein funktionelles, viereckiges Betongebäude ans Ufer der Lahn. Stattdessen wird ein Zweckbau entstehen, der auch ästhetisch überzeugt und große, runde Fenster in der zur Fahrbahn gerichteten Fassade erhält. Matthias Funk formuliert es so: „Wie gewähren einen Blick auf die Technik und sorgen so im wahrsten Sinne des Wortes für Transparenz. Unser Ziel ist es, mit PowerLahn die Energiewende hier vor Ort erlebbar zu machen.“ Dazu gehört auch, dass die SWG verschiedene Kanäle nutzen, um das Thema zu kommunizieren. Schon bald erklärt ein eigens dafür produzierter Film, was genau entstehen wird, wie die Anlage funktioniert und wie sie sich in das bestehende Fernwärmenetz einfügt. Der Film ist Teil einer eigenen Website, mit der die SWG das Projekt begleiten – zu finden unter www.stadtwerke-giessen.de/powerlahn 

 

Fazit: Mit dem Projekt PowerLahn bringen die SWG die Wärmeversorgung in Gießen auf ein völlig neues Niveau und entscheidend näher an die CO2-Neutralität. Tatsächlich setzt die Anlage neue Maßstäbe in puncto nachhaltige Energieversorgung und dient damit möglicherweise auch als Beispiel für andere Unternehmen in anderen Kommunen. 

Zurück