Kraft-Wärme-Kopplung in Gießen: SWG bauen weiter auf erfolgreiches Konzept.

In der Winchesterstraße ging im Dezember 2012 ein weiteres Blockheizkraftwerk (BHKW) der Stadtwerke Gießen (SWG) in den Probebetrieb. Dabei handelt es sich um das fünfte baugleiche Kraftwerk, das die SWG innerhalb der vergangenen 18 Monate aufgestellt und angeschlossen haben. Zudem arbeiten die SWG bereits an einem sechsten Aggregat in der Versailler Straße. Es soll Anfang dieses Jahres anlaufen.

Die Motoren dieser Kraftwerke liefern jeweils 2400 Kilowatt (kW) thermische Leistung und eine elektrische Leistung von 1999 kW. Je eines davon speist am ehemaligen US-Depot, am Umspannwerk Ost und in der Schlachthofstraße ins Strom- und Fernwärmenetz ein. Das vierte befindet sich auf dem Betriebsgelände der Stadtwerke in der Lahnstraße. Alle fünf derzeit betriebenen Anlagen produzieren jedes Jahr 50 Millionen Kilowattstunden Strom. Das reicht für etwa 12500 Haushalte.
Bereits vor rund 30 Jahren haben die SWG das erste BHKW in Betrieb genommen und die KWK-Erzeugung seitdem sukzessive ausgebaut. In ihren eigenen KWK-Anlagen produzieren die Stadtwerke mittlerweile etwa 40 Prozent des Stroms, den sie an ihre Privatkunden liefern. Die restlichen 60 Prozent stammen aus TÜV-zertifizierten Wasserkraftanlagen. Ganz automatisch erhalten daher alle Privatkunden in der Grundversorgung und mit PowerPack-Produkten klimafreundliche und atomkraftfreie elektrische Energie mit dem Label „Gießener Grünstrom“.

Mit dem massiven Ausbau ihrer Erzeugungskapazität helfen die SWG außerdem, das neu gesteckte und anspruchsvolle Ziel der Bundesregierung zu erreichen. Es lautet: 25 Prozent des deutschen Strombedarfs soll die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) bis 2020 decken. Ein neues KWK-Gesetz, das unter anderem Förderungen vorsieht, soll den Ausbau forcieren.
Matthias Funk, Leiter der Abteilung Fernwärme bei den Stadtwerken Gießen, und Jens Hanig, Projektleiter für den Neubau der BHKW, erklären im Interview, warum die Kraft-Wärme-Kopplung in Gießen so erfolgreich ist und was die Stadtwerke mit der effizienten Technik künftig noch vorhaben.

Die Bundesregierung hat mit einem neuen Gesetz und einer klaren Zielvorgabe die Kraft-Wärme-Kopplung neu bewertet. Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein?
Matthias Funk: Zunächst einmal vorweg: Wir hätten unsere sechs Blockheizkraftwerke auch ohne neue Gesetze gebaut. Einfach, weil wir über genug Erfahrung verfügen und abschätzen können, dass unsere Strategie langfristig aufgeht. Aber natürlich begrüßen wir, dass die Bundesregierung ihren bisherigen Kurs geändert hat. Aus meiner Sicht war es längst überfällig, die seit Jahren erprobte und effiziente Kraft-Wärme-Kopplung ähnlich gut zu einzustufen wie Solar- und Windenergie.

Warum?
Matthias Funk: Weil die Technik vergleichsweise einfach, zuverlässig, hoch effizient und deshalb wirtschaftlich ist. Das beweisen wir seit 30 Jahren: 1982 ging unser erstes BHKW in Betrieb. Das Aggregat produziert noch heute Strom und Wärme. Klar, wir haben die Anlage inzwischen modernisiert und noch effizienter gemacht. Aber der Motorblock, also das Kernstück, ist der alte.

Woher kommt diese Wirtschaftlichkeit der Kraft-Wärme-Kopplung?
Jens Hanig: Ein BHKW erzeugt nicht nur elektrische Energie. Auch die Wärme, die bei der Stromproduktion entsteht, wird genutzt. Das macht diese Technik etwa 40 Prozent effizienter, als Strom und Wärme getrennt voneinander zu erzeugen. Inzwischen betreiben wir kleinere und größere Anlagen mit einer elektrischen Gesamtleistung von rund 30650 Kilowatt und einer thermischen Leistung von 63600 Kilowatt. Sie erzeugen 109 Millionen Kilowattstunden Strom, den die Stadtwerke Gießen an ihre Kunden liefern.
Matthias Funk: Davon abgesehen konzipieren wir unsere BHKW so, dass sie das größte Problem von Fotovoltaik- und Windkraftanlagen lösen. Diese beiden Energiequellen sind nämlich hoch volatil. Soll heißen: Wir haben entweder extrem viel oder nur sehr wenig Wind- und Sonnenstrom im Netz. Diese Schwankungen gilt es auszugleichen, um das Stromnetz stabil zu halten. Und genau für diese Stabilisierung eignen sich unsere BHKW hervorragend. Weil unser Netz relativ viel Wärme speichern kann, sind wir in der Lage, einzelne Anlagen nach Bedarf zu- oder abzuschalten. KWK ist also keine Konkurrenz zu Sonne und Wind, sondern bei richtiger Planung die ideale Ergänzung. Eine, auf die wir mittelfristig nicht verzichten können. So lange es keine Möglichkeit gibt, Strom in großen Mengen zu speichern, brauchen wir für jedes installierte Kilowatt aus Sonne oder Wind 0,8 Kilowatt auf Knopfdruck verfügbare, konventionelle Kraftwerksleistung in der Hinterhand.

Aber BHKW verbrennen Erdgas und stoßen folglich CO2 aus …
Jens Hanig: Das ist richtig. Aber im Vergleich zu allen anderen konventionellen Lösungen konkurrenzlos wenig. Und in den nächsten Jahren werden unsere BHKW immer grüner, weil wir die Motoren sukzessive auf Bioerdgas umstellen. Wenn ein BHKW Bioerdgas verbrennt, entstehen hocheffizient Ökostrom und Ökowärme. Und wenn wir unser Ziel – 50 Prozent Eigenproduktion aus KWK bis 2020 – erreicht haben, soll der echte Ökoanteil bei 20 Prozent davon liegen.
Matthias Funk: Wir setzen seit Jahren erfolgreich auf verschiedene Brennstoffe. Allerdings nie ideologisch, sondern immer unter der Prämisse, Ökologie und Ökonomie zu vereinen. Und das gelingt uns bislang ganz gut. Noch verfeuern wir in all unseren Wärmeerzeugern rund 85 Prozent Erdgas und 15 Prozent Abfall und Biomasse. Schon 2020 wollen wir nur noch die Hälfte unseres Brennstoffbedarfs mit Erdgas decken.

Dafür brauchen Sie doch bestimmt weitere Anlagen?

Matthias Funk: Richtig. Wir werden dafür die eine oder andere Million investieren müssen. Aber in eine wirklich gute Sache. Aktuell planen wir, eine zweite TREA zu bauen – also noch mehr aufbereiteten Ersatzbrennstoff aus Abfällen thermisch zu nutzen. Außerdem sind die Planungen für eine weitere Biogasanlage in Heuchelheim schon sehr konkret.
Jens Hanig: Ein ganz wichtiges Plus dieser Strategie: Je mehr Strom wir hier vor Ort erzeugen, desto mehr Wertschöpfung halten wir in der Region. Wenn alles so kommt, wie wir uns das heute ausdenken, entstehen mit Sicherheit auch neue Arbeitsplätze.

Bleibt ein entscheidendes Problem: Wohin mit der ganzen Wärme? Mindestens die Hälfte des Jahres ist es hier warm genug. Da geht die Rechnung doch nicht mehr auf.
Jens Hanig: Doch. Unsere Rechnung stimmt auch im Sommer. Zunächst einmal wird in der warmen Jahreszeit mindestens so viel warmes Wasser zum Duschen benötigt wie im Winter. Davon abgesehen haben wir im Sommer die größten Lastspitzen beim Strom, weil immer mehr Klimaanlagen arbeiten. Die Kälte für Gebäude ließe sich viel effizienter mit unserer Fernwärme produzieren. In der Innenstadt nutzen bereits mehrere Kunden diese günstige Methode der Klimatisierung. In unserem Kundenzentrum am Marktplatz können Interessenten eine solche Anlage in Aktion erleben.

Wagen Sie einen Ausblick. Was passiert Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren in Sachen Energie oder besser Energiewende?
Matthias Funk: Solch eine Prognose fällt mir wirklich nicht leicht. Weil ich an die Vernunft der Menschen glaube, denke ich, dass sich die Politik zusammenrauft und die Rahmenbedingungen neu regelt. Wir können es uns in Deutschland nicht mehr allzu lange leisten, so locker wie bisher mit Subventionen umzugehen. Das führt heute schon zu Auswüchsen, die sich zwar für die Investoren rechnen, aus Sicht einer nachhaltigen und sicheren Energieversorgung aber in Frage zu stellen sind. Wir haben deshalb immer nur die Dinge vorangetrieben, hinter denen wir zu 100 Prozent stehen. Ohne uns da auf die eigene Schulter zu klopfen – ich bin wirklich der Meinung, dass unser Konzept auf viele andere Städte übertragbar wäre. Natürlich nicht von heute auf morgen. Aber das Prinzip der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung funktioniert. Das kann sich jeder bei uns anschauen.

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