Bundesfördermittel für die Analyse des Nahverkehrsangebots

In einer gemeinsamen Kooperation zwischen den Stadtwerken Gießen und den Data Analytics-Spezialisten von Brodtmann Consulting soll eine cloudbasierte Anwendung entwickelt werden, welche ganz neue Einblicke in die Auslastung und Fahrplantreue der Stadtbusse gewährt. Wegen seiner hohen Relevanz für die Optimierung des Nahverkehrs in Gießen fördert das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das Projekt im Rahmen der Förderrichtlinie Modernitätsfonds („mFUND“) mit insgesamt 354.418,00 Euro.

„Wo genau ist das Fahrzeug der Linie 3, in das ich einsteigen möchte, aktuell?“, „Schaffe ich meine Verbindung trotz kleiner Verzögerung vielleicht doch noch, weil das Anschluss-Fahrzeug noch an einer Ampel wartet?“ „Ist im Fahrzeug noch Platz für mein Fahrrad oder meinen Kinderwagen, oder lohnt es sich, auf das nächste Fahrzeug zu warten, das nur drei Minuten später kommt?“. All dies sind Fragen, die sich Kunden auch im Nahverkehr in Gießen häufig stellen. Antworten hierzu soll zukünftig eine künstliche Intelligenz geben. „Zusammen mit unserem IT-Partner Brodtmann Consulting arbeiten wir derzeit an einer weitreichenden, digitalen Lösung“, freut sich Jens Schmidt, kaufmännischer Vorstand der Stadtwerke Gießen (SWG). Konkret lässt sich das Vorhaben so umschreiben: vorhandene historische Daten und in Echtzeit erfasste aktuelle Daten intelligent miteinander zu verknüpfen, um zu prognostizieren, wann die Busse wie voll belegt sind und wie sie im Fahrplan liegen. „Wir erwarten, bereits während des laufenden Projektes viele neue Erkenntnisse zu gewinnen, wie sich die Belegung der Fahrzeuge über eine einzelne Fahrt und übergreifend über längere Zeiträume hin entwickelt“, erklärt Marc Lammerding, Datenspezialist bei Brodtmann Consulting und Projektleiter des Gesamtvorhabens. „Ultimativ können wir so nicht nur den Endkunden des Gießener Nahverkehrs ein Werkzeug zur Verfügung stellen, um ihre eigene Reise deutlich präziser und angenehmer zu planen als bisher, sondern wir liefern auch wichtige Grundlagen für weitere Forschung und Entwicklung in diesem Gebiet.“

Infos auch für Fahrgäste
Künftig schnellere und präzisere Informationen zum aktuellen Platzangebot im Nahverkehr sind nicht die einzigen Pluspunkte des Vorhabens, die den Nahverkehr attraktiver machen. Die gesammelten und vom lernenden System interpolierten Daten sollen im Rahmen des Projektes auch auf einer Echtzeit-Karte des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) visualisiert werden. „Hier werden sie dann so aufbereitet und dargestellt, dass unsere Fahrgäste den öffentlichen Personennahverkehr auf ihrem Handy oder entsprechenden Monitoren an den Haltestellen in Echtzeit nachvollziehen und damit besser erleben können“, fügt Mathias Carl, Geschäftsführer der MIT.BUS GmbH, hinzu. In der Endausbaustufe soll es dann möglich sein, per App auf dem Smartphone zu schauen, wie voll der Bus zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmen Haltestelle ist und ob er pünktlich kommt. Diese Informationen helfen Fahrgästen bei ihren Entscheidungen. Etwa, ob sie sich beeilen müssen und wahrscheinlich nur noch einen Stehplatz bekommen oder ob sie es langsam angehen lassen können und zwei Busse später bequem sitzend ihr Ziel erreichen. Wegen des hohen Potenzials unterstützt der RMV das Vorhaben. Als assoziierter Partner gewährleistet der Verbund die Projekteinbindung.


Neuland für die SWG
Mit dem Projekt kommen SWG und MIT.BUS zum ersten Mal aktiv mit Big Data und künstlicher Intelligenz in Berührung. Ihr Partner Brodtmann Consulting kann hingegen schon längere Erfahrung auf diesem Gebiet vorweisen. Die IT-Spezialisten entwickeln für das Vorhaben Prognose-Algorithmen unter anderem auf Basis moderner Konzepte aus dem Bereich Machine Learning wie etwa neuronale Netze. „Die Theorie und die Algorithmen zu neuronalen Netzen sind schon länger verfügbar“, so Marc Lammerding. „Über cloudbasierte Rechenzentren haben wir jetzt die Möglichkeit, auch unglaublich große Datenmengen zu verarbeiten und Ergebnisse in Echtzeit verfügbar zu machen. Insgesamt fallen in einem einzigen Jahr weit über zwei Milliarden einzelne Informationen allein durch die Echtzeit-Daten an. Ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz wäre eine sinnvolle Auswertung hier kaum zu gestalten.“ Neben der konkreten Auswertung der Daten im Rahmen des Projektes sollen auch Universitäten und Forschungseinrichtungen Zugriff erhalten.
„Wir starten natürlich zunächst einmal mit den Daten, die wir hier im Hause verfügbar haben“, ergänzt Mathias Carl. „Selbstverständlich würden wir uns freuen, mit unserem Vorhaben auch andere Stadtwerke und Nahverkehrsunternehmen für das Thema begeistern zu können und als Vorreiter in diesem Bereich zu neuen Innovationen beizutragen.“
Weil beide Partner davon überzeugt sind, das Nahverkehrsangebot damit nachhaltig zu optimieren, stellten sie einen Förderantrag. Mitte Januar kam der Bescheid, mit dem das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Fördermittel aus der Forschungsinitiative mFUND (Modernitätsfonds) bewilligt.

Am Anfang waren „Hacker“
Die Idee für das Projekt mit dem offiziellen Namen „NV-ProVi“ entstand bei einer Veranstaltung der Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU). „Der VKU hatte uns zu einem Hackathon eingeladen, für den wir die Daten der Stillstandzeiten unserer Busse außerhalb von Haltestellen mitgebracht haben“, erinnert sich Jens Schmidt. In ihrer Rohform liegen sie schon länger vor, da alle Fahrzeuge der MIT.BUS mit GPS-Sendern ausgestattet sind. „Es war wirklich verblüffend, was die ,Hacker’ an nur einem Wochenende geschafft haben“, erzählt Jens Schmidt. Tatsächlich gelang es ihnen, in einer sogenannten Heatmap zu visualisieren, an welchen Stellen die Busse öfter länger stehen.
„Diese Erfahrung hat Lust auf mehr gemacht“, ergänzt der SWG-Vorstand. Und das aus gutem Grund. Denn die SWG verfügen nicht nur über die Positionsdaten, sondern dank eines Fahrgastzählsystems auch über das Wissen, wie viele Menschen sich gerade im Bus befinden. Erst die Option all diese Daten zusammenzuführen, ermöglicht es, die gewonnenen Informationen als Grundlage für Entscheidungen zu nutzen.


Über den mFUND des BMVI
Im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND fördert das BMVI seit 2016 Forschungs- und Entwicklungsprojekte rund um datenbasierte digitale Anwendungen für die Mobilität 4.0. Neben der finanziellen Förderung unterstützt der mFUND mit verschiedenen Veranstaltungsformaten die Vernetzung zwischen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Forschung sowie den Zugang zum Datenportal mCLOUD. Weitere Informationen finden Sie unter www.mfund.de.

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